Scheitern ist in Deutschland immer noch ein Tabuthema. Dabei gibt es bereits Unternehmen, die mit dem Misserfolg von Startups ein Geschäft machen. Eine smarte Lösung für ein Problem, was vielleicht gar kein so großes ist. Ein Plädoyer fürs Scheitern.
Zum Menschsein gehört unweigerlich das Scheitern – so sind wir laut Religionsgeschichte aus dem Ideal eines vermeintlichen Paradieses geflogen. Doch anstatt dem Paradies nach zu trauern, musste auf die Situation angemessen reagiert werden – mit Arbeit. Einer der zentralen Faktoren der Wirtschaft. Der Erfolg konstituiert sich heute quasi selbst – Erfolg zieht Erfolg an, so ein gängiges Konzept. Aber was ist mit dem Scheitern, dem Misserfolg? Es auch nur zu erwähnen erscheint blasphemisch, als ob damit ein nie dagewesenes Ideal gestürzt werden würde. Insbesondere bei Startups schwingt natürlich ständig die Gefahr des Fehlschlags mit – ähnlich wie bei einem Experiment. Manchmal deutet sich das Scheitern sogar schon an, bevor das Unternehmen in den Markt eingedrungen ist – und niemand bemerkt die drohende Sintflut, die zur Sinnflut werden könnte. Denn wenn das Scheitern zur Realität wird, fällt es oft erstmal schwer, sich das einzugestehen. Denn dann dringt in die Blase aus Zahlen, Pitches, Grafiken, Ideen, Konzepten, Businessplänen, Augenringen und zittrigen Händen etwas ein, das sich vielleicht am besten als Gefühl beschreiben lässt. Damit einher geht teilweise das Schamgefühl, das den bis dato erfolgreichen Gründungsprozesses plötzlich konterkariert und alle erzielten Erfolge entwertet. Dabei wird das Gefühl des Scheiterns durch zwei Faktoren bedingt – dem der eigenen Erwartungen und dem, was man denkt, die Erwartung der anderen zu sein scheint. Die Norm, die eine Gesellschaft für das Scheitern aufstellt, lässt die Scham abflachen oder ansteigen. Natürlich hängen am Misslingen eines Geschäftes auch materialistische, gesellschaftliche und ggf. sogar existentielle Dinge. Die Sorge um die eigene Zukunft ist auch nicht unbegründet und soll daher hier in keiner Weise relativiert werden. Und dennoch muss nicht nur in der Wirtschaft ein Umdenken im Umgang mit dem Scheitern vollzogen werden.
Das Trial-and-Error-Prinzip ist für ein Unternehmen in der Startup-Phase eine schwierige Hürde, da das Startup meistens nur auf einem Produkt respektive einer Idee basiert. Natürlich gelingt nicht immer alles und ein Startup kann sogar oft eher neue Ideen ausprobieren, als große Unternehmen. Aber der Masterplan, der Leitgedanke muss unbedingt funktionieren. Dabei sollte das Scheitern immer auch in Betracht gezogen werden: Nicht als Ziel, sondern als Möglichkeit. Erfolg ist meist auch die Konsequenz richtiger Entscheidungen, die wiederum die Konsequenz von gesammelter Erfahrung sind. Und Erfahrung gewinnt man letzten Endes auch aus Fehlern. Erfolg ist aus dieser Perspektive kein Dogma, welches ständig angebetet werden sollte. Ausschlaggebend ist somit die Intensität des Scheiterns beim Ausprobieren und auf welchem Boden man seine Idee baut.
Und aus vielen problembehafteten Startups kann man ein eigenes Startup kreieren – das dachten sich z. B. die Gründer von rehype.it. Diese verkaufen kleine Unternehmen, die mit Internetprojekten, IT-Shops, Apps oder anderen Ideen scheiterten. Sogar aus diesem „Scheiternhaufen“ kann man also noch ein Startup konzipieren. Denn die Gründe des Versagens sind mannigfaltig und liegen nicht immer nur an der Idee selbst. Der Grundgedanke hinter dem Startup-Verkauf ist einleuchtend. Wenn es einer mit der Idee nicht geschafft hat, könnte es doch ein anderer schaffen, in einem anderen Marktumfeld, zu einer anderen Zeit, mit anderen Möglichkeiten. Damit verbrennt die Idee nicht einfach, sondern wird recycelt.
Aber auch bei großen Firmen, die aufgehört haben scheitern zu wollen, merkt man den fehlenden Umschwung an, wenn zum Beispiel neue Technologien den Markt verändern. Ein Beispiel ist das Unternehmen Quelle, die zu ihren Gründungszeiten noch kreativ mit neuen Prozessen und Ideen auf Veränderungen reagierten, aber als das Internet ihre Existenz bedrohte, die Lage verkannt haben – heute existiert Quelle in ihrer alten Form nicht mehr. Sie haben den Schritt zum eCommerce zu spät gewagt.
Das eigene Scheitern wird also relativiert, wenn man merkt, dass es anderen Startups oder sogar großen, am Markt etablierten Unternehmen auch so geht. Zudem kann aus den Fehlern anderer gelernt werden.
Dass hinter den Geschichten von Scheitern und Misserfolgen auch Leid und Schmerz stecken, steht außer Frage. Doch so kitschig sich diese Regel anhört: Jedes Ende bedeutet auch einen Anfang. Es gibt Unternehmer wie PayPal-Mitbegründer Max Levchin, die setzten das eine oder andere Unternehmen in den Sand, bis sie ein Unternehmen erfolgreich am Markt platzieren. Der Erfolg gibt ihnen Recht und nicht das Scheitern ihnen Unrecht. Dies sollte ein paradigmatischer Wechsel im Leitgedanken der Wirtschaft sein. Darüber disputierte jüngst sogar die Politik: Ein Rede des Parteivorsitzenden Lindners im NRW-Landtag zur Diskreditierung seiner Person als gescheiterter Unternehmer wurde so zum viralen Hit mit mehr als einer halben Millionen Aufrufe: Der Kerngedanke sollte erhalten bleiben: Scheitern erlaubt, aber bitte nicht mehr umhüllt von Schweigen.
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